Große Wäsche
Intelligente Robotik für Wäschereien schließt Automatisierungslücke
Die Textil- und Bekleidungsindustrie steht mit aktuellen Lieferketten- und Energieproblemen einmal mehr vor großen Herausforderungen. Der künftige Aufschwung wird außerdem durch produktionshemmende Faktoren wie den Mangel an Arbeitskräften und Ausrüstung gefährdet, die sie zusätzlich unter Druck setzen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Branche, insbesondere im globalen Kontext, hängt davon ab, wie betroffene Unternehmen auf diese Rahmenbedingungen reagieren. Ein Lösungsansatz ist, die Produktion von Kleidung wieder wirtschaftlich rentabel nach Europa zu verlegen. Wenn die Produktion und das Recycling von Textilien näher an die Verbrauchermärkte herangeführt werden, lassen sich die mit dem Transport verbundenen CO2-Emissionen, die Überproduktion und der Abfall erheblich reduzieren. Letzteres setzt eine weitere Automatisierung der Verarbeitung von Textilien voraus.
Das große Potential, das in dieser Aufgabe steckt, hat das deep-tech Startup sewts GmbH aus München in den Fokus genommen. Es entwickelt Lösungen, mit deren Hilfe Roboter - ähnlich dem Menschen - vorhersehen, wie sich eine Textilie verhält und ihre Bewegung entsprechend daran anpassen. Im ersten Schritt hat sich sewts eine Anwendung für industrielle Großwäschereien vorgenommen. Mit einem System, in dem sowohl 2D- als auch 3D-Kameras der IDS Imaging Development Systems GmbH zum Einsatz kommen, automatisieren die jungen Unternehmer einen der letzten verbliebenden manuellen Schritte in industriellen Großwäschereien, den Entfaltungsprozess. Obwohl 90% der Prozessschritte beim industriellen Waschen bereits automatisiert sind, fallen auf die verbliebenen manuellen Vorgänge 30% der Lohnkosten. Die Einsparungsmöglichkeiten durch den Einsatz von Robotik sind an dieser Stelle also enorm.
Anwendung
Zwar arbeiten industrielle Wäschereien schon jetzt in einer hochautomatisierten Umgebung, um die großen Mengen an Wäsche bewältigen zu können. So wird unter anderem das Zusammenlegen der Wäsche von Maschinen übernommen. Jede dieser Maschinen erfordert allerdings in der Regel einen Mitarbeitenden, der die Wäsche manuell ausbreitet und faltenfrei zuführt. Diese monotone und anstrengende Bestückung der Faltmaschinen wirkt sich unverhältnismäßig auf die Personalkosten aus. Zudem ist qualifiziertes Personal schwer zu finden, was oftmals Auswirkungen auf die Auslastung und damit die Wirtschaftlichkeit von Großwäschereien hat. Die Saisonabhängigkeit des Geschäfts erfordert zudem hohe Flexibilität. sewts macht IDS Kameras zu den Bildverarbeitungskomponenten eines neuartigen, intelligenten Systems, mit dessen Technologie sich nun einzelne Schritte, wie das Sortieren schmutziger Textilien oder das Einlegen der Wäsche in Faltmaschinen, automatisieren lassen.
"Die besondere Herausforderung besteht dabei in der Verformbarkeit der Textilien", erklärt Tim Doerks, Mit-Gründer und CTO. Denn während sich die Automatisierung der Verarbeitung fester Materialien, wie Metalle, mithilfe von Robotik- und KI-Lösungen vergleichsweise unproblematisch abbilden lässt, stoßen verfügbare Softwarelösungen ebenso wie klassische Bildverarbeitung bei leicht verformbaren Stoffen oftmals noch an Grenzen. Entsprechend können handelsübliche Roboter- und Greifsysteme so einfache Vorgänge, wie etwa das Greifen eines Handtuches oder Kleidungsstückes, bislang nur unzureichend ausüben. Doch das sewts-System VELUM kann dies leisten. Mithilfe intelligenter Software und einfach zu integrierenden IDS Kameras ist es in der Lage, forminstabile Materialien wie z.B. Textilien zu analysieren. Dank der neuen Technologie können Roboter das Verhalten dieser Materialien beim Greifen in Echtzeit vorhersagen. Sie ermächtigt VELUM, Handtücher und ähnliche Wäsche aus Frottee problemlos und faltenfrei in bestehende Faltmaschinen einzuführen, und schließt damit eine kostensensible Automatisierungslücke.
Die von sewts entwickelte Software-Suite vereint handelsübliche Roboter, Greifer und Kameras zu einem intelligenten System. Auf der Suche nach den passenden Kameramodulen waren für die Münchener neben der kompromisslosen Industrietauglichkeit gleich mehrere Kriterien ausschlaggebend: "Wir brauchen eine 3D Kamera, die kostengünstig ist, da wir je nach Systemkonfiguration zwei bis drei 3D-Kameras einsetzen. Darüber hinaus muss sie vor allem eine hohe Genauigkeit der Tiefendaten gewährleisten", erklärt Tim Doerks.
"Zusätzlich brauchen wir 2D-Kameras, die lichtempfindlich sind, einen hohen Dynamikumfang liefern und für den Einsatz in einem Mehrkamerasystem geeignet sind". Im IDS-Portfolio wurden die Gründer fündig: Für das Multikamerasystem VELUM fiel die Wahl auf die neue Ensenso S10 3D-Kamera sowie Modelle der uEye CP-Kameraserie. Sie haben die Aufgabe, sowohl in 2D als auch in 3D interessante Features und Greifpunkte der Textilien zu identifizieren, die dem System nach dem Waschen und Trocknen ungeordnet in einem Behälter oder auf einem Förderband zugeführt werden. Form und Lage der einzelnen Objekte sind dabei nicht vorherzusehen. Die Kameras erfassen die verschiedenen Texturen der Materialien. Sie unterscheiden, welche Säume es an einem Handtuch gibt und wo sich Ecken befinden.
Wir matchen die Bilder der 2D- und 3D-Kamera um eine höhere 2D-Auflösung zusammen mit den 3D Daten zu haben. Wir nutzen also die jeweiligen Vorteile der 2D-Kamera, in diesem Fall die höhere Auflösung, und der 3D-Kamera, also die genauen Tiefendaten.
Die mit einem 1,6 MP Sony Sensor ausgestattete Ensenso S10 arbeitet mit einem 3D-Verfahren, das auf strukturiertem Licht basiert: Ein schmalbandiger Infrarot-Laserprojektor erzeugt selbst auf Objekten mit schwierigen Oberflächen oder in schwach beleuchteter Umgebung ein kontrastreiches Punktemuster. Jede Bildaufnahme des 1.6 MP Sony Sensors liefert eine vollständige Punktwolke mit bis zu 85.000 Tiefenpunkte. Künstliche Intelligenz ermöglicht eine zuverlässige Zuordnung der gefundenen Laserpunkte zu den fest kodierten Positionen der Projektion. Daraus resultieren die robusten 3D-Daten mit der nötigen Tiefengenauigkeit, aus denen VELUM die Koordinaten für die Greifpunkte extrahiert.
Die komplementär arbeitende GV-5280CP-C-HQ Industriekamera mit GigE Vision Firmware ist mit dem 2/3“ Global-Shutter CMOS Sensor IMX264 von Sony ausgestattet. Sie liefert in voller GigE-Geschwindigkeit nahezu rauschfreie, sehr kontrastreiche 5 MP-Bilder im 5:4 Format mit 22 fps in Anwendungen mit schwankenden Lichtverhältnissen. Die uEye CP-Kamera bietet maximale Funktionalität mit umfangreicher Pixelvorverarbeitung und eignet sich dank des internen 120 MB Bildspeichers zum Zwischenspeichern von Bildsequenzen perfekt für Multikamerasysteme. Das kleine Magnesiumgehäuse ist mit rund 50 g ebenso leicht wie robust und prädestiniert die Kamera für platzkritische Anwendungen und den Einsatz auf Roboterarmen.
Software
Je nach Kundenanforderung bzw. Konfiguration kommen jeweils zwei bis drei uEye 2D- bzw. Ensenso 3D-Kameras zum Einsatz – beide Modelle lassen sich nahtlos in VELUM integrieren. "Wir sind Experten in der Aufbereitung der generierten Daten, was besonders bei der Arbeit mit 3D-Punktwolken wichtig ist. Diese Vorverarbeitung ist ein wichtiger Baustein unserer Systeme, um geeigneten Input für unsere künstliche Intelligenz zu generieren", unterstreicht Tim Doerks. Die von sewts entwickelte KI verarbeitet die von den uEye CP- bzw. Ensenso S-Kameras gelieferten Daten. Über Merkmale wie Nahtverlauf, lokale Erhebungen oder relative Lage von Nähten analysiert die intelligente Software die Topologie der Textilien, klassifiziert sie über verschiedene Texturen und Stickmuster nach Textilart und -klasse und übersetzt diese Erkenntnisse in Roboterbefehle.
Die Weiterverarbeitung der Daten geschieht dabei via Convolutional Neural Networks (CNN) und klassischer Bildverarbeitung. "Wir nutzen IDS peak, das Software Development Kit von IDS. Wir verbinden uns über Python und die IDS Library mit unserem System", verrät Till Rickert, Mit-Gründer und CPO von sewts. "Der Mehrwert des IDS Softwarepakets liegt für uns vor allem in der einfachen Kalibrierung und Einbindung in unser High Tech Vision System", führt er weiter aus.
"KI ist der Kern unserer Technologie. Es bedarf intelligenter Algorithmen, um adaptive Systeme zu bauen, die mit nicht-deterministischen Automatisierungsprozessen zurechtkommen. Deshalb nutzen wir die neuesten Erkenntnisse der KI-Forschung, verfeinern sie für unsere Bedürfnisse und fügen sie schließlich zu einem großen Ganzen zusammen", ergänzt Till Rickert. Es empfängt diverse Sensordaten (z.B. optische Informationen), zieht daraus Schlüsse auf einer menschenähnlichen Kognitionsebene und übersetzt diese in Roboterbefehle. Auf diese Weise führen Systeme wie VELUM Aufgaben durch, für die bisher der menschliche Verstand erforderlich war. Genau das entspricht der Unternehmensphilosophie von sewts: "Unser Ziel ist es, komplexe manuelle Arbeit in reibungslose Automatisierung zu verwandeln".
Ausblick
Mit Systemen wie VELUM können Wäschereien ihren Durchsatz unabhängig von der Personalsituation erheblich steigern und damit ihre Wirtschaftlichkeit erhöhen. "Durch das Schließen dieser bedeutsamen Automatisierungslücke können wir die Produktivität einer Textilwaschstraße nahezu verdoppeln", versichert CEO Alexander Bley.
Auch für Kleidung wie Shirts und Hosen können IDS Kameras künftig eingesetzt werden. "Es ist wichtig, die Eigenschaften dieser Materialien zu verstehen, um robuste Prozesse zu implementieren. Dies erreichen wir durch hochentwickelte Materialsimulationen. Um das Verhalten von Textilien nachzubilden, erstellen wir spezielle FE-Simulationen nach der Finite-Element Methode", erläutert Alexander Bley. Doch die Münchener haben eine übergeordnete Vision: "Wir wollen es ermöglichen, die Produktion von Kleidung zu automatisieren und diese kosteneffizient zurück an den Nutzungsort zu verlagern. Auf diese Weise verkürzen wir die Transportwege, schaffen zuverlässigere Lieferketten, sparen CO2-Emissionen und bekämpfen das Problem der Überproduktion."
Darüber hinaus sind künftig auch Applikationen mit Materialien geplant, die keine Textilien sind. Denn für Technologien wie diese gibt es viele potenzielle Anwendungsfälle, und Bildverarbeitung wird stets eine bedeutende Rolle spielen. Künstliche Intelligenz wird diese Entwicklung beschleunigen.
Ensenso S: 3D-Laser-Punkt-Triangulation mit künstlicher Intelligenz
- Ultrakompakt und kosteneffizient
- Hohe 3D-Datenrate und Genauigkeit durch KI-Unterstützung
- Robuste 3D-Daten auch bei geringem Umgebungslicht
- Strukturiertes Licht mit KI-basierter Laserpunktmuster-Triangulation
- geeignet für Anwendungen in Logistik-Automatisierung, Robot-Vision, Hinderniserkennung, Monitoring und Gartenbau-Automatisierung u.v.m.
Unglaublich schnell, unglaublich zuverlässig, unglaubliche Sensoren: Die uEye CP
- Interface: Ethernet
- Modell: GV-5280CP-C-HQ
- Sensortyp: CMOS
- Hersteller: Sony
- Framerate: 24,0 fps
- Auflösung (h x v): 2448 x 2048
- Shutter: Global-Shutter
- Auflösung: 5,01 MPixel
- Maße : 29 x 29 x 29 mm
- Gewicht: 52 g
- Anschluss: GigE RJ45, verschraubbar
- Anwendungen: u.a. Industrielle Bildverarbeitung, Maschinenbau, Oberflächeninspektion, Medizintechnik, Verkehr & Transport, Qualitätssicherung, etc.
Kunde
Die 2019 gegründete sewts GmbH mit Sitz in München ist ein Anbieter für innovative Steuerungs- und Bildverarbeitungssoftware, die die Grenzen der Robotik bei der Verarbeitung von leicht verformbaren Materialien verschiebt. sewts hat eine einzigartige Technologie entwickelt, die hochpräzise Finite-Elemente-Methode (FEM) Simulationen nutzt, um Machine Learning Algorithmen effizient zu trainieren. Die intelligente Softwarelösung ermöglicht zahllose Anwendungen in der industriellen Automatisierung, wie z.B. die Verarbeitung von Textilien in industriellen Wäschereien oder die Herstellung von Bekleidung, aber das Handling von Folien, Kabeln, verformbaren Kunststoffteilen und vielen weiteren. www.sewts.com